Wie

Wirkprozess Integrieren und Üben

Folgender Irrglaube bezüglich Psychotherapie und insbesondere Psychoanalyse ist in Literatur und Film und als Folge im Allgemein(un)wissen weit verbreitet: 

Die Klientin kommt verzweifelt und mit einer geheimnisvollen Symptomatik sowie mit symbolisch interessanten Traumbildern in die Praxis. Durch Zuwendung, Konfrontation und unheimlich pfiffiger Interpretation des Therapeuten taucht das verdrängte traumatisierende Erlebnis der Kindheit aus dem Unbewussten der Klientin auf. Das führt zu einer Katharsis, sprich einem emotional intensiven, reinigenden und heilendem Schlüsselerlebnis. Die Elemente des Lebensnarrativs fügen sich von neuer bestechender Logik zusammengesetzt an ihren richtigen Platz zusammen. Frisch geheilt werden wahre Liebe und selbstbestimmtes, schönes Leben möglich. Mit Tränen der Dankbarkeit verlässt die Klientin die Praxis. (Von den Klassikern z.B. Alfred Hitchcock: „Spellbound“, „Room with a view“, „Vertigo“….)

Als ironisch nüchternen Gegenpol dazu erinnere ich mich an einen Cartoon, den ich mal gesehen habe bei dem der Therapeut zu seinem Klienten auf der Couch sagt: „Ja gut, nachdem wir geklärt haben, dass Heilung ausgeschlossen ist, können wir uns daran machen ein überzeugendes Narrativ zu Ihrem Leiden zu entwickeln.“ 

Wahr ist nämlich vielmehr: Psychotherapie ist ein meist mehrjähriger und zeitweise emotional, körperlich und kognitiv anstrengender Prozess. Es ist vielmehr ein Prozess der vielen kleinen Schritte als der plötzlich erlösenden Erleuchtung. Das Gefühl und das Tun sind in der Regel wichtiger als das Denken und Wollen.

In der jungianischen Psychologie und Therapie wird dem Unbewussten eine Vorstellung in einem Ausmaß eingeräumt, dass von vielen jungianischen Therapeuten sogar eine bewusste Zielsetzung und Zielorientierung in der Therapie generell abgelehnt werden. Die Selbstregulierungskräfte der (unbewussten) Psyche mögen mit Hilfe des Therapeuten die Basis schaffen, aus der sich dann automatisch und von selbst die „richtigen“ und heilsamen Verhaltensweisen ergeben. Ich halte es da mehr mit der lateinischen Weisheit:

“Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind der richtige.” –
               Seneca der Jüngere, römischer Philosoph der Stoa

Es braucht, so meine ich, einerseits ein möglichst konkret formuliertes und definiertes Ziel, eine spürbare und benennbare Sehnsucht, einen Wunsch. Gleichzeitig geht es aber auch darum Vertrauen zu finden, es geht darum Therapie geschehen, wirken und verändern zu lassen. Auf einer anderen Ebene gedacht, es geht gleichzeitige um Akzeptanz, wie ich bin und um Veränderung, wie ich sein will. Auf Praxis und Tun angewandt: Mit Achtsamkeit auf alte und bekannte Impulse achten (Akzeptanz) und neue, veränderte, bewusst gesteuerte Reaktionen folgen lassen (Veränderung). 

Eine Analogie findet sich im Sport (sei es Kampfsport, Tennis, Tanzen, Skifahren etc.) wo das richtige Zusammenspiel von Anspannung (zielgerichtet, wollen) und Entspannung (geschehen lassen) über Erfolg und Misserfolg entscheidet. Wer beim Boxen oder Tennis zu viel will, verkrampft, verliert an Schlagkraft und Genauigkeit und brennt seine Muskeln aus. Wer beim Skifahren die Kanten mit zu viel Kraft einsetzt, verliert an Geschwindigkeit. Wer beim Tanzen zu viel mit dem Kopf erreichen will, verliert an Leichtigkeit, Natürlichkeit und Ausdruck.

Auf den Therapieprozess angewendet bedeutet das, einerseits auf den Prozess im Unbewussten zu vertrauen (Akzeptanz). Wie der Prozess des Unbewussten belebt werden kann (z.B. Traumtagebuch, kreatives Arbeiten etc.) ist oben ausführlich beschrieben. 

Gleichzeitig können auf bewusster Ebene Fähigkeiten trainiert werden, die die Wahrscheinlichkeit und den Grad der Zielerreichung positiv beeinflussen (Veränderung). Das umfasst insbesondere Übungen in den Bereichen:

  • Achtsamkeit Skills
  • Zwischenmenschliches Wirken
  • Gefühlsregulation
  • Stress Toleranz
  • Dankbarkeit üben

So werden Inhalte nicht nur kognitiv und ihrem Gefühlswert nach verstanden und integriert, sondern auch in ihrer sozialen Dimension des Alltags bearbeitet und integriert. Beispielhaft sei hier das Führen eines „Ärgerjournals“ genannt. Während die traumatisierenden Erlebnisse, die zu einem überdurchschnittlich aggressiven Abwehrverhalten geführt haben z.B. in der Traumarbeit und im Sandspiel symbolisch verarbeitet werden, wird das Verhalten im Alltag durch folgende Aufzeichnungen genauer ins Bewusstsein genommen.

  • Beschreibung der Ärgersituationen der letzten Woche.
  • Rating des Ärgers von 0 bis 10.
  • Welche Gefühle waren in der Situation wie und wo spürbar?
  • Welche Gedanken kamen dabei in den Kopf?
  • Welche Verletzungen, Kränkungen standen hinter dem Ärger?
  • Wie wurde auf den Ärger reagiert?

Wo es mir in der individuellen Therapie sinnvoll erscheint, rege ich zum laufenden Üben an und stelle entsprechende Leitfäden und Materialien zur Verfügung (im Fachjargon unter DBT Skills Training bekannt). Die wissenschaftliche Evidenz zur positiven Wirksamkeit von Skills Training und zur erzielten Verkürzung der Behandlungsdauer sind mannigfaltig.

Der Film „The Revenant“ mit Leonardo di Caprio ist ein vielschichtiges und beeindruckend inszeniertes Testimonial, wie viel Schmerz der Einzelne aber auch eine ganze Kultur aushalten kann, was jemanden kämpfen lässt und wie man seinen Frieden finden kann. „As long as you can still grab a breath, you fight.
You breathe, keep breathing!“

Der Fim Trainspotting schildert sehr intensiv und plakativ die Dynamik zwischen unerfüllbaren Anspruch ans Leben, Flucht in die Drogen und den Weg über Frustration zu Akzeptanz. Mit all seiner Ambivalenz ist das zusammengefasst im Abschlussmonolog des Haupcharacter Renton (Ewan McGregor) „Choose life!“

Musikalisch und in einem eindrücklichen Musikvideo mit viel Symbolgehalt stellt mein Lieblingsmusiker Peter Gabriel den Therapieprozess im Song „Digging in the Dirt“ dar. "Digging in the dirt
. Stay with me, I need support. 
I'm digging in the dirt
. To find the places I got hurt. 
Open up the places I got hurt."