Wie
Wirkprozess Erfassen, Erkennen, Verstehen
Wir leben in einem Zeitalter des „Konstruktivismus“, d.h. man geht davon aus, dass der Mensch, also jeder Mensch sich seine Wirklichkeit (d.h. sein individuelles Abbild davon) im eigenen Kopf „konstruiert“. Dieser Zugang führt zu weit gedacht dazu, dass Menschen, insbesondere Politiker, in einer Art Pippi Langstrumpf Politik („ich mach’ mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt“) glauben, sich die tatsächliche Welt so konstruieren zu können, wie sie wollen. Unausweichlich folgt auf Hochmut der Fall und man spricht danach davon, dass einen die Realität eingeholt hat.
In der Psychotherapie geht es darum, sein inneres Erleben mit der gegebenen Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Schaffe ich es, die Menschen und die Welt so zu sehen, wie sie sind, oder interpretiere ich alles aus einer „Brille“ der Minderwertigkeit, der narzisstischen Überhöhung, der depressiven Sinnlosigkeit etc. Oder hat sich mein Erleben sogar wahnhaft, psychotisch verändert, so dass die Realität nicht nur interpretiert sondern auch verändert wahrgenommen wird.
Im Dialog zwischen Klient und Therapeut werden in der Auseinandersetzung von Wahrnehmung und Wirklichkeit eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Verständnis entwickelt, z.B. zur differenzierten Wahrnehmung von Gefühlen, zum Verständnis von bestimmten Abwehrmechanismen, zum Verstehen von Träumen etc. Auf Basis der gemeinsam befüllten Begriffshülsen und Sprache können das Erleben und die Wirklichkeit des Klienten aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und in Einklang gebracht werden. Nachstehend sind ein paar Perspektiven zum Erfassen der Wirklichkeit beschrieben:
Narrativ von der Vergangenheit zur Gegenwart
Die analytische Psychologie nach C.G. Jung zählt zu den sogenannten psychodynamischen Therapiemethoden. „Psychodynamisch“ insofern als das indivduelle Handeln und die Befindlichkeit empirisch und konzeptionell aus innerseelischen Kräften und großteils unbewussten Prägungen der frühen Kindheit abgeleitet werden. Die Dynamik kann z.B. aus einem vererbten oder erlernten konflikthaften Verhalten, aus einem schädlichen „Familiengeheimnis“ (z.B. Scham, Schuld) oder aus einer selbst erlebten traumatischen Erfahrung stammen. Das Entwickeln eines schlüssigen Narrativs von Ursache und Wirkung über das eigene Sein, Fühlen und Handeln gibt den Kontext und Ansatzpunkte für das Verstehen und für die emotionale Bearbeitung. Aus therapeutische Sicht ist neben dem kognitiven Verstehen nämlich das korrespondierende Fühlen wesentlich (in den Worten des alten Meisters C.G. Jung):
„…ein Inhalt kann nur dann integriert werden, wenn sein Doppelaspekt bewusst geworden ist, und wenn er nicht nur intellektuell erfasst, sondern auch seinem Gefühlswert entsprechend vorhanden ist.“ (C.G. Jung in Aion)
Identität
„Nosce te ipsum (Erkenne dich selbst)“ lautet die lateinische Version einer älteren griechischen Inschrift am Apollo Tempel in Delphi. „Wer bin ich?“ „Wie will ich sein?“ sind die grundlegenden Fragen auf die im Individuationsprozess nach Antworten gesucht wird. Identität entwickelt sich dabei einerseits aus einem sich individuell Herausstellen aus der kollektiven Masse, aus einem zu sich selbst finden, eine Selbstverwirklichung. Andererseits entsteht Identität aus einer bewussten Anpassungsleistung an die Systeme, Regeln, Gebräuche der Gesellschaft, sprich des Lebens in einer Gemeinschaft. Beide Perspektiven entwickeln sich und einander am Erkenntnisweg und bestimmen das Vermögen zu individueller Freiheit und Beziehungsfähigkeit. (->Link zu Identität und Freiheit hinten)
Entwicklungsphasen
Die menschlichen Entwicklung wird durch biologische Faktoren (Wachstum, Altern, hormonelle Umstellung) und damit verbundene psychosoziale Veränderungen vorangetrieben. Menschheitsgeschichtlich wurden wesentliche Umschlagspunkte der Entwicklung durch speziell dafür entstandene und in der Gemeinschaft tief verankerte Rituale (z.B. Initiationsriten, Fruchtbarkeitsriten) gestaltet und emotional verarbeitet. Den sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedlich konstellierenden archetypischen Kräften fehlt in der heutigen Zeit ein Struktur gebender und Entwicklung fördernder Rahmen wie eben Bräuche, Traditionen, gelebte Religionen. Kindliche Ansprüche und Verhaltensweisen zurückzulassen und als reifer Erwachsener eigenverantwortlich im Leben zu stehen, fallen heute ungleich schwerer als in einer durch Not und Notwendigkeit geprägten Gesellschaft. Nicht weniger herausfordernd ist es in einer scheinbar nach ewiger Jugend strebenden Gesellschaft in Würde zu altern. Im Therapieprozess ist es daher wichtig, den Menschen in seinem entwicklungspsychologisch prägenden Kontext zu verstehen, um die Übergänge von Lebensphasen positiv gestalten und entwicklungsfördernd nutzen zu können.
Diagnose
Oft kommen Patienten mit einer bereits vorhandenen Diagnose oder mit dem Wunsch, eine Diagnose zu stellen, in die Therapie. Unter Diagnose ist ein normiertes (z.B. ICD-International Classification of Disease-11), reduktives Verständnis unterschiedlicher als pathologisch bewerteter, in unserem Fall psychischer, Zustände zu verstehen. So kann das eigene Erleben mit einer allgemein anerkannten und umgrenzten Beschreibung von Symptomen in Bezug gesetzt werden. Man kann sich so selbst besser zuordnen und verstehen und über diagnosespezifische Entstehungen und Behandlungen informieren. Doch eine Diagnose vermittelt nur ein reduktives und oft stigmatisierendes Verständnis. Denn der einzelne Menschen ist in seinem Sein und Tun viel individueller, vielfältiger und spezifischer als eine allgemein gefasste Klammer um Symptome, i.e. Diagnose.
Typologie
Auf Basis der von C.G. Jung beschriebenen Typologie wurde einer der global am weitesten verbreiteten und umfassendst erforschten und validierten Persönlichkeitstests entwickelt, nämlich der Meyer Briggs Type Indicator – MBTI. Die Persönlichkeit wird anhand der Dimensionen Denken-Fühlen, Sensorik-Intuieren, Introversion-Extraversion und Wahrnehmung-Beurteilung erfasst. Aufgrund der vielfältigen wissenschaftlichen Evidenz zu diesem Test, gibt der so abgegrenzte Persönlichkeitstyp umfassende Möglichkeit für Selbsterkenntnis insbesondere auch im Kontext von Beziehungen und Beruf. Am Ausgangspunkt einer Therapie verwende ich gerne diesen Test, um das Entstehen einer gemeinsamen, sachlichen Blickweise auf sich selbst zu fördern. Außerdem ist der Test im Bereich des Career Coaching ein sehr wertvoller Input, um herauszufinden welche Berufsbilder in die Kategorie “natural fit” fallen.