Wie

Nach der Therapie

”Vor der Erleuchtung hacke Holz und trage Wasser. Nach der Erleuchtung hacke Holz und trage Wasser.”
               (Altes Sprichwort aus dem Zen Buddhismus)

„Nach dem Match ist vor dem Match.“
               (Fußballer Weisheit)

Wenn eine Therapie zu Ende geht, wird meist ein Zustand des Gleichgewichts erreicht, eine flexible und funktionierende Passung von Innen (Psyche) und Außen (Welt). Aus dem Zusammentreffen der permanent in Wandlung befindlichen Systeme, Mensch und Welt, entsteht kontinuierlich neues (Er-)Leben unabhängig davon wie erkenntnisreich, achtsam und bewusst meine Wahrnehmung und mein Verstehen schon sind. Gleichwohl macht mein Bewusstseinsstand den monumentalen Unterschied, wie ich die Welt erlebe und dafür gilt es immer wieder aufs Neue die Verantwortung zu übernehmen. 

Auf Englisch wird der Alltag auch als „the daily grind“, das tägliche Abschleifen bezeichnet. Es erinnert an den Mythos von Sisyphos, der wegen seiner Ansprüchlichkeit gegenüber den Göttern, damit bestraft wird einen Felsen immer wieder aufs Neue einen Abhang hinauf zu rollen. Sobald Sisyphos fast oben angelangt ist, rollt der Fels den Abhang hinab und sein Werk beginnt von Neuem. Der Mythos wird oft als Gleichnis für die Müh(l)en des Alltags herangezogen. 

Albert Camus, der französische Schriftsteller und Philosoph kommt in seiner Auseinandersetzung mit dem Sisyphos Mythos zum Schluss, dass (franz.) la revolte, die Revolte, das sich Auflehnen gegen die Eintönigkeit und Absurdität des Lebens das einzig Vernünftige und Logische sei.

Als Therapeut plädiere ich für Beides für ein Akzeptieren und für ein Auflehnen. Wenn die Therapie positiv gelaufen ist, konnten Illusionen über und Ansprüche an die Welt, an die Menschen, an sich selbst, an die Wirklichkeit angepasst und losgelassen werden. Einerseits können die Zufälligkeiten und Härten des Lebens, die Konflikte und Spannungen besser verstanden, ausgehalten, angenommen werden -> Akzeptanz. 

Andererseits wurden in der Therapie die Kräfte gestärkt, die sich in einer ambivalenten Welt mit nur bedingter Freiheit und Selbstbestimmung realisieren und durchsetzen wollen -> Auflehnung. 

Genau das sind die zwei Seiten der „Individuation“, das Einpassen in die Anforderungen der Familie, der Gesellschaft, in den Lebensfluss -> Akzeptanz; und die individuelle Verwirklichung der im Individuum veranlagten Schaffenskraft -> Auflehnung.

Die schönste Beschreibung von „Individuation“ von Akzeptanz vs. Auflehnung, von Alt vs. Neu, von Gewohnheit vs. Neubeginn stammt von Hermann Hesse, der selbst bei C.G. Jung und dann bei einer Schülerin von C.G. Jung in Therapie war. Sie ist im Gedicht „Stufen“ geschrieben, aus dem man meist nur die Zeile „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ kennt. Bei jedem Mal lesen bin ich aufs Neue ergriffen und berührt. Was ich in langen Texten auf meiner Website versuche darzustellen, schafft der Künstler so…

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

In der Therapie wurden Resilienz (eine dickere Haut), neue Bewältigungsstrategien und reifere Abwehrmechanismen im Umgang mit den Herausforderungen des Lebens und Alltags erarbeitet und eingeübt. Man weiß sich nunmehr in hohem Ausmaß selbst zu helfen. Sollte seitens eines Klienten jedoch der Bedarf nach einer kurzfristigen emotionalen Stabilisierung entstehen, stehe ich therapeutisch gerne für eine einmalige Phase der Auffrischung des Erarbeiteten zur Verfügung. 

Gleichwohl zeigt mir die Erfahrung, dass ein positiv abgeschlossener Therapieprozess eine abgegrenzte und abgerundete Gestalt ergibt, die eben aus einer bestimmten „Stufe“ zu einer bestimmten Zeit zwischen zwei zu diesem Kontext passenden Menschen entstanden ist. Für eine nächste „Stufe“ im neuen Kontext empfiehlt sich daher die Suche nach einem neuen Therapeuten/Coach/Gruppentherapie/Schauspiel Workshop/Berater/Tanzkurs… In diesem Sinne…

„Wohlan denn Herz nimm Abschied und gesunde!“

„Stay hungry, stay foolish!“
(Closing statement von Steve Jobs anlässlich seiner Commencement Adress an Absolventen der Stanford University)

„Follow your bliss!“
(Vielfach weitergegebener Rat von Joseph Campbell an seine Studenten)

„Il faut imaginer Sisyphe heureux!“ Wir müssen uns Sisyphos als glücklich vorstellen!
(Albert Camus, Le mythe de Sisyphe)

Mit Medikamenten werden Symptome behandelt. In der Psychotherapie geht es darum, den Ursprung zu finden und zu behandeln.